Warum? - Kleines Wort mit großer Wirkung

Warum dem Wort „Warum" im Reitunterricht eine größere Bedeutung zukommen sollte.

AUSBILDUNG

Agnes Trosse

1/3/20175 min lesen

Warum stellt im Reitunterricht so selten jemand die Frage nach dem „Warum“? Warum führen wir stattdessen meist aus, ohne zu reflektieren? Das fehlende „Warum“ führt leider oft zu stumm leidenden Pferden und ratlosen Reitern – manchmal auch zu verzweifelten Trainern. Dieser Artikel ist ein Plädoyer für das viel zu selten ausgesprochene „Warum“.

Am vergangenen Wochenende fand der Lehrgang eines bekannten Trainers statt. Ich habe mir eine Sequenz dieses Trainings angesehen. Der Trainer unterrichtete gerade eine Frau mit ihrem Friesen. Er gab seine Anweisungen im schneidigen Kavallerie-Ton. Die Friesenreiterin hatte Probleme, ihre Hände ruhig zu halten und störte damit das Maul ihres Pferdes, das enorme Defizite in der Losgelassenheit zeigte.

Die Lösung des Trainers: Er steckte der Schülerin Gerten in die Stiefel, an denen sie sich festhalten sollte, um die Hände ruhig zu halten. Dann wurde das Pferd im schnellen Stechtrab vorwärts getrieben. Ergebnis: Der Friese drückte weiter den Rücken weg, rannte. Die Frau geriet weiterhin hinter die Bewegungen ihres Pferdes. Ihre Hände waren nun fest, die Zügel sprangen. Ihr Körper versteifte sich regelrecht – eine korrekte Einwirkung über das Gewicht war nicht mehr möglich.

Was war hier passiert?

Die Schülerin hatte richtig erkannt, dass sie ein Problem damit hatte, dass sich ihr Friese einrollte. Der Ausbilder hatte richtig erkannt, dass die Schülerin unruhige Hände hatte und dadurch das Einrollproblem ihres Pferdes noch verstärkte. Anstatt aber die Ursache dieses Handproblems zu lösen, indem er am Sitz der Reiterin und vor allem an der Mittelpositur und der Kernspannung der Reiterin arbeitete, versuchte der Trainer nur das Symptom – die unruhigen Hände – zu beheben.

Er bot auch keine Lösung für die Probleme des Pferdes an, da er dessen körperliche Voraussetzungen einfach nicht berücksichtigte (siehe Kasten unten). Obwohl es sich sicher nicht gut angefühlt hat, was da mit ihr und ihrem Pferd gemacht wurde, fragte die Reiterin den Trainer zu keinem Zeitpunkt, warum sie tun soll, was sie tat. Hätte sie das getan, hätte sie mit dem Trainer vielleicht eine andere Lösung finden können.

Militärischer Ton macht mundtot

Ich kann die Reiterin verstehen: Der Reitlehrer-Militärton sorgt auch heute noch dafür, dass viele von uns sich einfach nicht trauen, nachzufragen. Mir geht es nicht anders. Schnell ist man dann eingeschüchtert und lässt einfach alles nur noch über sich ergehen. Man gibt das Denken sozusagen an der Tür ab, weil der Ton sonst noch schärfer zu werden droht. Das allein kann aber nicht der Grund sein, warum Schüler nicht die Frage nach dem Warum stellen. Denn auch bei Trainern, die anders kommunizieren, wird selten wirklich gefragt.

Warum eigentlich? Liegt es daran, dass die kindliche „Warum?“-Phase so nervig ist, dass viele Eltern ihren Kindern das „Warum“ einfach abgewöhnen? Sind wir heute, im Jahr 2017, immer noch oder wieder so obrigkeitshörig, dass wir einfach immer denken „Der hat das gelernt, der ist fast 80 Jahre alt und Vorstand im Trallafitti-Verein und der muss es wissen“? Liegt es an unserer Leistungsgesellschaft? Augen zu und durch, wir wollen ja was erreichen?

Reiten und Politik?

An dieser Stelle wird deutlich, dass Reiten viel mit Politik zu tun hat. Die Fähigkeit zu denken, zu analysieren und zu hinterfragen ist für beides unerlässlich. Wenn aber der Reiter oder Bürger durch seine Erziehung (Obrigkeitshörigkeit, Frontalunterricht, keine Diskussionen) nicht mit diesen Grundfähigkeiten ausgestattet ist oder diese unterdrückt werden (z.B. Gruppenverhalten, der Wille dazuzugehören, nicht aufzufallen), dann kann das bis zum Extremismus führen (in der Reiterwelt bis zur Guru-Verehrung) und dazu, dass Menschen sogenannte „Fake-News“ oder auch Halbwahrheiten und fragwürdige Trainingsmethoden für die reine Wahrheit halten. Meist verteidigen sie diese auch dann noch, wenn ihnen das Gegenteil bewiesen wird.

Das macht sich so mancher findige Marketingstratege in der Reiterwelt zunutze. „Wir nennen uns „XYZ-Reiten“, weil unsere Methode im Gegensatz zu allen anderen ganz schlau ist. Wer das nicht versteht, hat hier nichts verloren.“ Mit solchen und ähnlichen Sätzen wird das Publikum mundtot gemacht. Schließlich will niemand als besonders dumm dastehen (siehe Gruppenverhalten, Harmoniestreben etc.). Aber genau das ist das Problem: Wenn ich mich nicht traue zu fragen, dann stimmt etwas nicht im System. Das gilt für die Politik genauso wie für den Reitsport.

Das wird schon richtig sein – oder?

Zurück zum Reitsport: Auch bei weniger bekannten Ausbildern wird dieses „Das wird schon richtig sein“ immer wieder zum Verhängnis für Reiter, Pferd und Ausbilder. Denn wenn der Reiter nicht hinterfragt, kann der Trainer auch nicht wissen, ob der Schüler verstanden hat, was er tut. Wenn der Schüler es nicht versteht, arbeiten Trainer und Schüler vielleicht irgendwann in völlig verschiedene Richtungen.

Der Trainer sagt dann vielleicht: „Heb die innere Hand in der Volte leicht an, um dem Pferd die Stellung und Biegung zu erleichtern“. Der Schüler versteht: „Die innere Hand hoch ist gut“ und fragt nicht weiter. Das Ergebnis ist dann ein Pferd, das sich im Genick komplett verschließt, weil der Schüler stur die Hand anhebt und nicht erkennt, dass sein Pferd nachgibt. Das bedeutet für das Pferd permanenten Druck, der zu Gegendruck im Genick führt.

Die eigentlich gute Idee des Trainers wird ad absurdum geführt, weil der Schüler glaubt, etwas verstanden zu haben. In Wirklichkeit führt er aber etwas aus, dessen Ziel und Sinn er nicht verstanden hat. Ein solches Vorgehen birgt ein enormes Fehlerpotential. Gerade in der Erziehung von Lebewesen sollten wir uns immer darüber im Klaren sein, was wir mit dem, was wir tun, am Ende erreichen wollen.

Wer nach dem Warum fragt, gewinnt

Natürlich sollte der Ausbilder im besten Fall von sich aus neue Inhalte verständlich erklären und immer wieder nachhaken, um sicher zu gehen, dass der Schüler verstanden hat, was er tun soll. Aber ob der Schüler immer den ganzen Hintergrund verstanden hat, kann der Ausbilder nur wissen, wenn er ein Feedback vom Schüler bekommt.

Auf keinen Fall möchte ich den Unterricht des Trainers, den ich bewusst nicht namentlich genannt habe, schlecht machen. Ich kann nicht beurteilen, wie er sonst arbeitet, da ich nur eine kleine Sequenz seines Unterrichts gesehen habe. Was mich aber an dieser Sequenz störte, war die Tatsache, dass er in diesem Fall nicht zwischen der Arbeit mit einem Warmblüter und einem so speziellen Pferdetyp wie dem Friesen unterschied und dass er offensichtlich keine Idee hatte, wie er die Ursache des Sitzproblems der Reiterin angehen könnte.

Aber, wer jetzt gut aufgepasst hat, wird zu Recht die Frage stellen: „Und warum hast du nicht den Ausbilder gefragt?“ Diesen Vorwurf muss ich mir in diesem Fall tatsächlich gefallen lassen. Und ich habe mich im Nachhinein auch sehr darüber geärgert.

Also: Fragt und informiert Euch! Fragt euren Trainer! Ein guter Trainer weiß, warum er etwas tut und kann auch zugeben, wenn er mit seinem Latein am Ende ist und selbst nachschauen oder nachfragen muss! Und egal welcher Rasse Euer Pferd angehört, denn das betrifft nicht nur Friesen: Beschäftigt Euch mit dem Exterieur Eures Pferdes und fragt nach, ob der Trainer auf die besonderen Voraussetzungen Eures individuellen Pferdes eingeht. Dabei spielen sowohl das Exterieur als auch das Interieur eine große Rolle. Ein Null-Acht-Fuffzehn-Training über falsch verstandenes schnelles Vorwärts hilft keinem Pferd.